Kürzlich ist mir ein Atlas aus dem Jahre 1933 in die Hände gefallen, ein A5-großes Büchlein, das nun schon 92 Jahre alt ist, mit dem ich eine kleine Zeitreise erleben konnte, an der ich dich gerne teilhaben lassen will.
Gleich in der Einleitung bzw. im Vorwort heißt es, daß der Atlas “aller Ungunst der Zeit zum Trotz” entstanden und es Ziel gewesen sei, einen erschwinglichen Atlas für jedermann zu schaffen.
Das Kartenmaterial sei unter Leitung eines Spezialisten vom Reichsamt für Landesaufnahme in Berlin von einem Stabe von Mitarbeitern gänzlich neu gezeichnet und hergestellt, wodurch eine technisch einwandfreie, klare Wiedergabe der Kartenbilder sowie plastische Maßstäbe erzielt wurden und alle Veränderungen der jüngsten Zeit berücksichtigt werden konnten.
Die Erde im Weltall
Es beginnt mit einem Blick auf die Erde im Weltall und einem Größenvergleich mit den anderen Planeten und der Sonne.
Wer nachzählt, kommt auf nur acht Planeten, es fehlt Pluto, wie noch einmal in der Tabelle der Planeten klar erkennbar ist.
Pluto wurde 1930 vom amerikanischen Astronomen Clyde Tombaugh entdeckt und war ab Mitte 1930 in der Fachliteratur und Lehrbüchern vertreten, hätte demnach schon in diesen Atlas aufgenommen werden können. Es sind also nicht alle Veränderungen der jüngsten Zeit, wie in der Einleitung behauptet, berücksichtigt worden.
Da Pluto jedoch im Jahre 2006 der Planetenstatus aberkannt wurde, ist der Hansa-Weltatlas in diesem Punkt mittlerweile wieder aktuell.
Weltkarte
Die Weltkarte zeigt die Welt von 1933 im Überblick und dazu Detailkarten der Arktis und der Antarktis. Die Annahme, die Antarktis sei ein eigenständiger Kontinent, den man theoretisch zu Fuß überqueren kann, galt erst mit der Expedition Amundsens im Jahre 1911 als bestätigt. Noch im Jahre 1897 beschrieb Jules Verne in seinem Roman Die Eissphinx den Südpol als ein Meer, das von einem Ring aus Packeis umgeben ist.
Europa
Zu Europa liest man im Atlas, Europa sei Halbinselland des eurasischen Kontinents und morphologisch demnach Teil Asiens. Europa sei vor allem ein kulturgeographischer Begriff und deshalb als selbständiger Erdteil anzuerkennen. Der Name komme vom assyrischen ereb = dunkel = Abend. Im Jahre 1931 habe Europa 500 Millionen Einwohner gehabt, was 25% der “gesamten Menschheit” sei.
Somit lebten 1931 wohl rund 2 Milliarden Menschen auf der Erde.
Deutschland
Erwartungsgemäß reicht Deutschland im Jahre 1933 noch bis an die Memel und endet nicht an der Oder-Neiße-Friedensgrenze.
Auf die Deutschlandkarte hat in dieses Exemplar jemand oben mit Bleistift “Norden” geschrieben und unten etwas, das kaum zu entziffern ist, aber der Logik nach “Süden” heißen müßte.
Wenn wir heute von “nach dem Krieg” sprechen, meinen wir mit dem Krieg in der Regel den 2. Weltkrieg. 1933 meinte man damit den 1. Weltkrieg. 1933 waren die Weltkriege noch nicht durchnummeriert.
Bereits nach dem 1. Weltkrieg mußte Deutschland Gebiete abtreten, die in dem Atlas detailiert aufgeschlüsselt sind. Die Verluste werden dem “Diktat von Versailles” zugeschrieben.
Niederlande und Belgien, Ostpreußen und Memelgebiet
Die Karte zeigt links den westlichen Rand von Mitteleuropa mit den Niederlanden und Belgien, rechts den östlichen Rand Mitteleuropas mit Ostpreußen und dem Memelgebiet.
Ist es statthaft, sich die rechte Seite im Detail anzuschauen und die Ortsnamen zu studieren? Königsberg ist dort eine Deutsche Stadt und heißt Königsberg. Gleichsam verhält es sich mit der Stadt Tilsit. Würde man die neuen Namen der Städte konsequent verwenden, äßen wir heutzutage Kaliningrader Klopse und Sovetsker Käse.
Im Hansa-Weltatlas von 1933 finden wir auch einen Abschnitt über die Stadt Danzig und dazu eine Karte, auf der die Druckrichtungen fremder Staaten eingezeichnet sind. Den Autoren ist klar anzumerken, daß sie mit der aktuellen Situation unzufrieden sind.
Nordwest- und Mitteldeutschland
Dieser Teil Deutschlands ist heute eigentlich immer noch wie 1933.
Nur die Stadt des KdF-Wagens fehlt. Die Stadt des KdF-Wagens wurde erst 1938 gegründet und 1945 in Wolfsburg umbenannt.
Mittel- und Nordostdeutschland
Mit Schlesien war Deutschland 1933 so groß, daß zur Darstellung Oberschlesiens weit über den Rand der Karte hinaus gezeichnet werden mußte.
Am Rande von Oberschlesien finden wir die Stadt Gleiwitz, in der sechs Jahre nach Erscheinen dieses Büchleins “zurück geschossen” werden wird. Gerade einmal 10 Kilometer von Gleiwitz entfernt befindet sich Hindenburg. Die Stadt heißt heute Zabrze und hieß auch früher Zabrze, nur von 1915 bis 1945 hieß die Stadt Hindenburg, also auch in dem Jahr, als der Atlas gedruckt wurde.
Görlitz ist 1933 noch keine geteilte Stadt.
Süddeutschland, Schweiz und Tirol
Wenn sich etwas überhaupt nicht verändert, dann ist es eine Karte mit der Schweiz. Die Schweiz ist perfekt – seit 1848.
Österreich, Ungarn, Tschechoslowakei
1933 war das Jahr der Parteiverbote. In Deutschland wurden die KPD und die SPD verboten und in Österreich die KPÖ und die NSDAP – alles mittels Notverordnungen. Die Grenzen Österreichs sind heute etwa noch die selben wie 1933, die von Ungarn ebenfalls, und die Tschechoslowakei ist 1991 zu Tschechien und der Slowakei geworden.
Großbritannien und Irland
Großbritannien, das Vereinigte Königreich, hatte 1933 die selben Grenzen wie heute. Weil Großbritannien eine Insel ist, gab es auch keine Druckrichtungen fremder Staaten.
Irland war bereits geteilt in den Irischen Freistaat und Nordirland. Der Irische Freistaat heißt heute Republik Irland und ist europäischer Sitz vieler Tech-Konzerne wie Google, Facebook und anderen.
Frankreich
In einem Weltatlas darf eine Karte von Frankreich natürlich nicht fehlen. 1933 gehörten zu Frankreich noch viele Kolonien, die hier nicht abgebildet sind.
Spanien und Portugal
Ebenso wie Frankreich muß ein Weltatlas auch eine Karte von Spanien und Portugal enthalten. Verglichen mit der heutigen Zeit haben sich die Grenzen von 1933 nicht verändert, wenn man von den Kolonien in Afrika absieht.
Italien
Zum letzten, aber auch nicht allerletzten der Europäischen Weltstaaten im Jahre 1933 gibt es im Hansa-Weltatlas auch eine Karte von Mussolinis Stiefel.
Karpaten- und Balkanländer
Bei den Karpaten- und Balkanländern, fällt besonders Rumänien auf. 1933 war Rumänien auf dem Höhepunkt seiner territorialen Ausdehnung. Moldawien (Republik Moldau) und Transnistrien sucht man vergebens, denn beide sind erst Anfang der 1990er Jahre entstanden.
Polen, Baltenländer und westliches Rußland
Im Jahre 1933, in dem Moment, da der Atlas gedruckt wurde, gehörte Lwów (Lemberg), wie auf der Karte erkennbar, zu Polen.
Lwow entstand ab 1256 im Rus-Fürstentum Galizien. Nach Verwüstungen durch die Mongolen, fiel Lwow 1340 an das Großfürstentum Litauen und 1349 an Polen. 1387 war Lwow kurzzeitig unter ungarischer Herrschaft, dann wieder unter polnischer, bis es 1772 an die Habsburger Monarchie fiel und ab 1867 unter Österreich-Ungarn geführt wurde.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde in Lwow 1918 die westukrainische Republik gegründet, wonach Polen im polnisch-ukrainischen Krieg (eine Spezialoperation?) nach heftigen Kämpfen Lwow wieder unter eigene Kontrolle bringen konnte, was bis zum Erscheinen dieses Atlases so blieb.
1939 wurde Lwow im Zuge der Aufteilung Polens gemäß Hitler-Stalin-Pakt von der UdSSR einverleibt, und 1991 mit der Ukraine als deren Bestandteil von der UdSSR wieder ausgespuckt.
Wer bekommt Lwów als nächstes?

Schweden, Norwegen, Finnland
Mit etwas Phantasie erkennt man in Finnland des Jahres 1933 einen Schneemann, der zwei Arme abstreckt, so als wollte er “Hurra!” rufen. Diese Form hat Finnland heute nicht mehr. Der östliche Arm fehlt. Finnland hat ihn im Russisch-Finnischen Krieg, dem Winterkrieg, im Jahre 1939 verloren.
Rußland
Die Karte zeigt nicht das gesamte Rußland. Hier ist Rußland nur bis zum Ural hin abgebildet. Es fehlt zum Beispiel Nowosibirsk. Außerdem hieß Rußland 1933 nicht mehr Rußland, sondern Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Die Ostukraine, die seit etwa 1770 Teil des russischen Zarenreichs war, war 1933 Teil der UdSSR und hieß, obwohl nur mit Ukraine beschriftet, offiziell Ukrainische SSR. Den hier nicht abgebildeten Teil der westlichen Ukraine, zu dem auch Lwow (Lemberg) gehört, gab es 1933 noch nicht. Dieses Gebiet war 1933 Polen.
Asien
Im Jahre 1933 gibt es auf der Karte von Asien Israel noch nicht, den Gazastreifen gibt es auch nicht, und der Iran heißt noch Persien. Erst ab 1935 hieß der Iran offiziell Iran.
Das Gebiet der UdSSR ist auch hier noch mit “Russisches Reich” beschriftet, allerdings ist darunter in Klammern geschrieben: “Union der Sozialistischen Sowjet Republiken”. Dies ist die einzige Karte, auf der Nowosibirsk ist.
Indien und China
1933 war Indien ein Britische Kolonie, Korea nicht in Nord- und Südkorea geteilt, stattdessen eine Japanische Kolonie und Formosa (Taiwan) war ebenfalls eine Japanische Kolonie.
Heute spricht man kaum noch von Vorder- und Hinterinden, so wie hier auf die Karte gedruckt. Hinterindien kennen wir nur noch von Pippi Langstrumpf, die erzählt, daß die Menschen in Hinterindien auf ihren Händen laufen.
Afrika
Afrika war 1933 fast ausschließlich unter den europäischen Kolonialmächten Frankreich, Großbritannien, Belgien, Portugal, Italien und Spanien aufgeteilt. Deutsche Kolonien wie Deutsch-Ostafrika und Deutsch-Südwestafrika werden auf der Karte zwar noch so bezeichnet, jedoch wurden sie mit dem Vertrag von Versailles als Mandat des Völkerbundes Mächten wie Frankreich, Großbritannien und anderen übergeben.
Viele Grenzen in Afrika wurden am Reißbrett mit dem Lineal gezogen.
Bemerkenswert ist die Übersicht der einheimischen Transportmittel in Afrika. Ob Maultier, Ochs, Kamel oder Träger, wer 1933 eine Reise nach Afrika antrat, war mit dem Hansa-Weltatals gut vorbereitet.
Australien, Ozeanien
Auf der Karte von Australien und Ozeanien ist sehr viel Wasser eingezeichnet. Canberra war 1933 bereits Hauptstadt von Australien.
Das Gebiet der Deutschen Südseeinseln, die deutsche Kolonie in der Südsee, die Deutschland mit dem Vertrag von Versailles verloren hat, ist noch eingezeichnet.
Kanada, Alaska, Mittelamerika
Um die Städtenamen richtig herum lesen zu können, ist die Karte von Kanada, Alaska und Mittelamerika im Hochformat zu betrachten. Allerdings sind die Überschriften “55 Kanada, Alaska” und “56 Mittelamerika” so aufgedruckt, als wäre die Karte im Querformat zu verwenden. Bei allen anderen Karten in diesem Atlas sind die Überschriften entsprechend Querformat oder Hochformat angepaßt aufgedruckt.
Wahrscheinlich ist den Autoren hier ein Fehler unterlaufen.
Wäre dies der einzige Fehler, der 1933 von Menschen gemacht wurde, dann wären viele Karten heute vielleicht noch aktuell.
Besonders anschaulich wird die Bedeutung des Panamakanals erklärt.
Vereinigte Staaten von Nordamerika
Auf der Karte der Vereinigten Staaten von Nordamerika aus dem Jahre 1933 fällt als erstes ins Auge, daß der Golf von Mexiko, der im Moment Golf von Amerika heißt, 1933 schon Golf von Mexiko hieß.
Die Route 66 und den 101 gab es 1933 auch schon, beide sind eingezeichnet, aber nicht als solche beschriftet.
Zu den USA ist im Atlas noch eine Karte, auf der die Landwirtschaftsgebiete eingezeichnet sind.
Die Karte erinnert an das in vielen Varianten anzutreffende Bild einer Kuh mit ihren Fleischteilen, so wie es auch auf dem Cover des Kochbuches Zeit für Fleisch abgebildet ist.

Südamerika
Abschließend blicken wir noch auf die Karte von Südamerika, wo sich seit 1933 die Grenzverläufe nicht sonderlich stark verändert haben.
1933 kämpften Bolivien und Paraguay im Chacokrieg um das Chacogebiet, das genau auf dem Knick in der Mitte der Karte liegt. Im Ergebnis konnte Paraguay Land hinzugewinnen und sich etwas über die Knick hinaus arbeiten.
Nun, das war es, das war der Blick auf die Welt im Jahre 1933, den die Menschen im Jahre 1933 hatten, wenn sie den Hansa-Weltatlas aufschlugen.
Falls du dich für die im Abschnitt zu Danzig erwähnte Währung interessierst, sei hier noch die Ländertabelle von Erupa angehäbgt, in der auch die Währungen und deren Wechselkurse zu den einzelnnen Ländern genannt sind.
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