Einen Teil des bisher heißesten Tages im Jahr habe ich damit verbracht, auf den ADAC zu warten. Davor war ich in der Werkstatt und hatte einen Termin zum Reifenwechsel vereinbart. Der Typ in der Werkstatt fragte, nachdem er ein Foto des Reifens gesehen hatte, ob ich Feinde hätte. Ich sagte: “Keine Ahnung. Nicht, daß ich wüßte. Warum?”
“Das Loch hat doch einer reingeschnitten”, meinte er.
Ich erzählte ihm, wie das Loch tatsächlich hineingekommen war, aber er glaubte mir nicht.
Um das Auto in die Werkstatt zu fahren, mußte das Reserverad drauf, deswegen hatte ich den ADAC gerufen und wartete nun, im Kofferraum des Kombis sitzend, ein Buch lesend, auf den gelben Engel.
Die Wolfshagener an der Ecke zur Eintrachtstraße ist eng. Links und rechts parken Autos, in der Mitte nur Platz für ein Fahrzeug. Begegnen sich zwei, muß einer im Rückwärtsgang bis zum Anfang der Straße, oder sie müssen an der Ecke zur Eintrachtstraße umeinander herum manövrieren.
Auf dem Bürgersteig stand schon ein Amazon-Lieferauto dessen Hintern halb auf die Straße lugte, ein weiteres Amazon-Lieferauto kam, und der Fahrer ließ es mitten auf der Wolfshagener stehen, um sein Paket abzugeben, keine Möglichkeit für den hellgrünen Lupo, in dem zwei junge migrantische Typen saßen, vorbeizukommen.
Ich sah den Fahrer bei offenem Fenster extrem aggressiv schimpfen: “Was ist denn das für einer? Warum steht der hier?”
Ich wußte die Antwort: Das war ein Amazon-Lieferauto, und es stand dort, weil jemand, der hier wohnte, etwas bei Amazon bestellt hatte. Die beiden Typen im hellgrünen Lupo wußten das sicher auch. Der Beifahrer stieg aus, ging zum Amazon-Lieferauto und beschimpfte den Fahrer, der gerade zurückgekommen war, um einzusteigen. Ich zückte das Handy, um die gleich folgende Schlägerei oder gar Messerstecherei zu filmen, aber es geschah nichts, das Amazon-Lieferauto fuhr los, der Lupo auch.
Kurz danach rammte auf dem engen Gehsteig ein vielleicht 60 Jahre alter Radfahrer ein geschätzt zehnjähriges Mädchen, das ebenfalls auf dem Bürgersteig fuhr. Das Mädchen wäre fast hingefallen und hatte sich sehr erschreckt, der Radfahrer war hingefallen, und während er sich aufrappelte und sein Fahrrad begutachtete, wurde er vom Vater des Mädchens, der hinter dem Mädchen mit seinem Fahrrad auf dem Bürgersteig gefahren war, beschimpft. Erbeschimpfte den 60 Jährigen, was er sich einbilde, auf dem Bürgersteig zu fahren. Wenn ich die Akteure der Szene irgendwie einordnen müßte, würde ich den Vater als etwa 40 Jahre alten Grünen-(jetzt die Linke)-Wähler beschreiben und den 60 Jährigen als alte Ostpocke.
Dann kam der ADAC, und als der Typ vom ADAC das Loch im Reifen sah, fragte er, ob ich Feinde hätte.
Ich erzählte ihm, wie das Loch hineingekommen war, aber er glaubte mir nicht. So etwas hätte er noch nie gesehen, es gebe zwar Schrammen in der Felge, aber der Reifen sähe dann nicht so aus. Der müßte mehr zerfetzt sein, sagte der ADAC-Mann.
Mittlerweile zweifele ich an meiner Geschichte. Ich war daheim losgefahren, Kavalierstraße, sehr eng, mit Tempo 30, dann in die Wolfshagener, sehr eng, eigentlich nur Tempo 20, dann in die Amalienpark-Straße, maximales Tempo 20, weil sehr, sehr eng, Einbahnstraße, links an den Bordstein gekommen, obgleich ich dem Gefühl nach überhaupt nicht an den Bordstein gekommen sein konnte, aber es gab einen Rums, einen Knall, der hatte nicht zur Fahrgeschwindigkeit gepaßt, und ich dachte, bin ich etwa an den Bordstein gekommen?, dann auf die Breite Straße, Gas gegeben und auf Tempo 50 beschleunigt, das Auto zog eigenartig nach links, also gebremst, nächste Gelegenheit rechts, das war die Eintrachtstraße, sehr eng, das Auto fuhr normal, den nächst besten Parkplatz genommen, an der Ecke zur Wolfshagener, ausgestiegen, geguckt und den Augen nicht getraut: Was für ein Loch!
Wenn nun das Loch tatsächlich jemand dort hineingeschnitten hätte, wäre ich schon daheim mit dem Loch losgefahren, Tempo 30 in der Kavalierstraße, nichts bemerkt, Tempo 20 in der Wolfshagener, nichts bemerkt, dann in der Amalienpark-Straße gegen den Bordstein geknallt, vielleicht weil das Auto nicht mehr ganz so genau wie gewohnt lenkte, und dann erst auf der Breiten Straße mit Tempo 50 hab ich gemerkt, was tatsächlich los war.
Ich weiß es nicht. Kann so oder so gewesen sein.
Schreib einen Kommentar