“Herr Herre, was haben Sie sich dabei nur gedacht?”, fragte mich die Rektorin.
“Das kann passieren. Die E‑Mail-Adresse stand noch in der Fußzeile auf der Moodle-Seite. ‘Bei technischen Fragen kontaktieren Sie T. Herre: herre@atauni.de’.”
Die Hochschule, an der ich als Netzwerkadministrator unter anderem für die Erreichbarkeit der Moodle-Seite zuständig war, hatte schon lange ihren Namen gewechselt. 2002, als sie noch ATA Universität hieß, hatte jemand atauni.de reserviert, weil es zum symmetrischen DSL-Anschluß eine Domain gratis dazu gab. Diese Domain wurde eigentlich nur intern verwendet, nach außen präsentierte sich die Hochschule stets unter anderen Domains und mittlerweile, im Jahre 2012, da sich diese Geschichte zutrug, auch unter völlig anderem Namen.
Keiner hatte auf dem Schirm, daß die Adresse noch auf der Moodle-Seite stand, doch Anne M., eine Dozentin der Freien Universität Berlin, die als Gastdozentin im kommenden Semester eine Vorlesungsreihe halten sollte, hatte die Adresse entdeckt und mir eine Mail dorthin geschrieben.
Von: anne.m…@fu-berlin.de
An: herre@atauni.de
Betreff: Dokumente
Sehr geehrter Herr Atauni,
bitte laden Sie die angehängten Dokumente ins Moodle hoch!
MfG
Anne M…
Im Anhang der Mail fand sich eine große Menge Docx-Dateien.
Sicher konnte man Atauni als A‑Tau-Ni lesen statt als Ata-Uni und im Zusammenhang mit meinem Nachnamen flüchtig dem Schluß erliegen, man kommuniziere mit Herrn Atauni.
Ich beantwortete die Mail:
Re: Dokumente
Sehr geehrte Frau Fu Berlin,
Sie können die Dokumente ganz leicht selbst hochladen. Hier ist unser Dozentenleitfaden, wo Sie alle nötigen Informationen finden: (link …)
MfG
T. Herre
“Ich fand meinen Gag ziemlich gut”, sagte ich der Rektoren.
“Ja, finde ich eigentlich auch”, antwortete sie, “aber Frau M. hat deshalb ihren Lehrauftrag gekündigt, fristlos. Das ist eine Katastrophe, weil das Semester nächste Woche beginnt und wir keinen Ersatz haben.”
“Tut mir leid. Ich konnte ja nicht ahnen, daß Frau M… keinerlei Sinn für Spaß hat und gleich kündigt. Darf sie das überhaupt? Sie hatte doch schon alles unterschrieben, oder? Wie dem auch sei. Ich verspreche, daß ich solche Gags nur noch mit welchen mache, die ich kenne, wobei der Gag gar nicht funktioniert hätte, wenn ich sie gekannt hätte, weil sie dann auch mich gekannt und korrekt angeredet hätte. Mein Gag war einmalig und ist nicht wiederholbar. ”
“Ja ja. Trotzdem haben wir ein Problem.”
Tatsächlich war aber noch etwas mehr passiert, denn am Tag, nachdem ich meine Mail mit dem großartigen Gag versandt hatte, erfuhr ich von einem Kollegen im Flur, daß Frau M… von der Freien Universität Berlin schon seit dem frühen Morgen ständig anrufe und nach einem Herrn Atoni oder so ähnlich frage, ob ich eventuell wisse, wer gemeint sein könnte?
Ich hatte eine Idee, und als ich kurz darauf in meine Mails sah, fand ich eine von Frau M…
Betreff: Aw: Re: Dokumente
Sehr geehrter Herr Herre,
meine Mail war nicht an Sie, sondern an Herrn Atauni gerichtet.
Mfg
Anne M…
Ja, was bildete sich der Herr Herre ein, eine Mail zu beantworten, die an Herrn Atauni gerichtet war? Vielleicht war es auch nur ihre Art von Humor, auf meine Mail zu reagieren, oder sie wollte beweisen, daß sie meinen Gag überhaupt nicht kapiert hatte.
Ich antwortete:
Betreff: Re: Aw: Re: Dokumente
Sehr geehrte Frau M …,
Herr Atauni und Herr Herre sind ein und die selbe Person. Genauer gesagt, gibt es keinen Herrn Atauni, Atauni ist nur die Domain meiner E‑Mail-Adresse, Ata-Uni, die zufällig noch existiert, weil die Universität früher ATA Universität hieß.
Wenn jemand zum Beispiel eine Gmail-Adresse hat, heißt er ja nicht gleich Gmail mit Nachnamen.
Mit freundlichen Grüßen
T. Atauni Herre
Vom zeitlichen Verlauf ließ sich rekonstruieren, daß die Dozentin, kurz nachdem ich diese Mail versandt hatte, ihren Lehrauftrag kündigte.
Warum sie kündigte? Vielleicht war es die Schmach, ihre eigene Blödheit bemerkt zu haben, oder sie fühlte sich vom Admin, dem Herrn Atauni, der ihre Dokumente nicht hochlud, bloßgestellt. Angeblich war sie eine Koryphäe, schwer zu engagieren, was meinen Fauxpas umso ärgerlicher machte. Kollegen meinten später, sie sei ohnehin unerträglich gewesen – vielleicht war es gut, daß sie ging. Un was lehrte sie? Keine Ahnung, ich glaube, es war irgendwas mit ‑Studies.
Schreib einen Kommentar