
Ob das Buch tatsächlich für Kinder ist, weiß ich nicht. Ich habe es bei den Comics in der Kinderabteilung der Wolfdietrich-Schnurre-Bibliothek in Berlin Weißensee entdeckt, was die Annahme erlaubt, es könnte für Kinder sein. Eine Altersangabe wie "für Kinder ab 7 Jahren" ist darin allerdings nicht zu finden.
Das Buch stellt die Frage "Was ist eigentlich Faschismus?" und versucht sie in Form eines Comics zu beantworten.
Beim ersten Durchblättern fällt auf, das sehr viele Hakenkreuze im Comic sind. Ich habe sie gezählt: Es sind 64,5, nämlich 62 ganze und 5 halbe.
Ein halbes Hakenkreuz ist zum Beipsiel auf Seite 29. Dort ist eine Deutsche Famile beim Kraft-durch-Freude-Urlaub abgebildet, wo das kleinste Kind gemeinsam mit der Teenage-Tochter eine Hakenkreuzfahne in den Ostseestrand steckt.
Hakenkreuzfahnen sind oft auf Bildern, die eine eigentlich schöne Sache (z.B. eine Familie beim Urlaub an der Ostsee) zeigen, die Sache jedoch, da sie dem Faschismus dient, schlecht ist.
Die Zahl der Hitlergrüße im Buch ist sicher nicht minder. Ich habe sie nicht gezählt, doch das Cover gibt eine Vorstellung davon.
Nach diesen ersten Eindrücken beginne ich das Buch mit Kinderaugen zu lesen, und erfahre, daß bei uns heutzutage Faschismus für etwas Negatives steht, für Diktatur, Unterdrückung, die Verachtung von Schwachen, Rassismus und Völkermord, ja, Faschismus sei fast gleichbedeutend mit dem Bösen selbst. Dabei hätten die Faschisten, so heißt es im Comic, in der Zwischenkriegszeit Dinge unternommen, gegen die wir eigentlich nichts sagen können: Sie haben einen Sozialstaat aufgebaut, Armut und Arbeitslosigkeit verringert, die Kinderbetreuung verbessert und Gemeinschaft gestiftet.
Dann wird ein Blick auf die damalige Zeit geworfen: Am 23. März 1919 gründete der ehemalige Sozialist Benito Mussolini eine neue politische Bewegung, die "Fasci di combattimento ", wobei das Wort Fasci vom Lateinischen Fasces kommt und "Bündel" bedeutet. Die Mitglieder dieser Bewegung nannten sich Faschisten und hatten kein eigenes politisches Programm. Sie wollten vor allem Widerstand leisten gegen den immer stärker werdenden Sozialismus.
Nun müßte ich in der Rolle des kindlichen Lesers wissen, was Sozialismus ist, ich bräuchte ein Comic: "Was ist eigentlich Sozialismus?" Das Wort steht heutzutage doch für Diktatur, Unterdrückung, Zensur, Einparteiensystem, Planwirtschaft, Armut und Millionen von Toten.
Manche sagen aber auch, der Sozialismus sei eigentlich eine gute Idee gewesen, bisher nur mißbraucht und falsch umgesetzt worden.
Gegen welchen Sozialismus kämpften die Faschisten? Gegen den falsch umgesetzten Sozialismus? War der Faschismus damit eigentlich auch eine gute Idee?
Lena Berggren, die Geschichtsdozentin, die selbst als Figur im Comic auftaucht und die Dinge erklärt, ist der Ansicht, daß Faschismus eine politische Ideologie ist.
Ich erfahre, daß der Faschismus wie alle anderen Ideologien (Sozialismus, Liberalismus, Konservatismus, usw.) eine politische Vision, eine Idee, wie die Gesellschaft umgestaltet werden soll, ein Leitbild, eine Utopie habe. Die Nation soll neu geboren werden, weil die "natürliche" nationale Identität und Kultur bedroht ist und vor der Auslöschung steht. Eine alternative, postliberale, nationale Identität soll mit neuen Technologien und Errungenschaften kombiniert werden - eine neue Gesellschaftsordnung, Volksgemeinschaft, Meritokratie, in der der neue Mensch für die Nation lebt.
Obwohl in dem Comic sehr detailliert der Weg zu dieser Utopie beschrieben wird, angefangen beim Nationalismus, und zwar liberalem Nationalismus der französischen Aufklärung über den Kulturnationalismus, der seinen Ursprung in Deutschland habe und mit der Romantik verbunden sei, insbesondere in Deutschland aber der Rassismus eine Rolle gespielt habe, dürfte das lesende Kind irgendwann aussteigen und nur noch die Bilder angucken und vielleicht Hakenkreuze zählen.
Lena Berggren sagt, daß der Faschismus wie auch der Kommunismus eine revolutionäre Bewegung sei, also die Utopie durch eine (gewaltsame) Revolution herbeiführt werden müsse.
Allerdings sei der Faschismus antisozialistisch und antikapitalistisch, was daran liege, daß sowohl der Sozialismus als auch der Kapitalismus nicht mit der Vorstellung zusammenpaßt, daß die Nation an erster Stelle steht. Dazu komme der Antisemitismus, der davon ausgehe, daß die Juden ebenso für den internationalen Kapitalismus als auch für den internationalen Sozialismus verantwortlich seien, was zusammen mit dem in Deutschland verbreiteten Rassismus zu den schweren Verbechen führte.
Ich glaube, das Comic ist nicht für Kinder, und Erwachsene können sich auch auf Wikipedia über den Faschismus informieren, ohne dabei die Augen in einem Meer aus Hakenkreuzen baden zu müssen.
Dennoch ist das Comic sehr interessant.
Falls du es dir auch einmal ansehen willst, kannst du es zum Beispiel in der Wolfdietrich-Schnurre-Bibliothek ausleihen, aber erst ab 2.10.2025, weil bis dahin ich es noch habe.
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