Daß ich keine Gallenblase mehr habe, fällt mir immer erst ein, wenn es im Bauch ziept, wenn es zu spät ist, wenn ich zu schnell zu viel gegessen habe.
Kürzlich, da ich auf einem Strategiemeeting in Spandau mit ein paar Kollegen zum Abend noch in einem Restaurant war und mir ein Schweineschnitzel mit Champignonsauce und Pommes bestellt hatte, war es wieder passiert. Entgegen meiner Erwartung waren auf dem Teller zwei Schweineschnitzel, zwei riesige panierte Fleischlappen, die ich, ohne nachzudenken, wegspachtelte. Es war eine Überportion, der mein Verdauungstrakt ohne Gallenblase nicht so schnell Herr werden konnte.
Die Gallenblase hat den Zweck, den Gallensaft, den der Körper tröpfchenweise und stetig produzieren kann, zu speichern, um dann, wenn zwei Schweineschnitzel und eine Ladung Pommes im Magen landen, diese mit einem Schwall Gallensaft zu überschütten. Dazu wird die Gallenblase in einem Schwung ausgedrückt. Der Gallensaft hilft, die Fette in der Nahrung aufzuspalten, wobei sich der Vorgang nicht direkt im Magen abspielt, sondern mehr im 12-Fingerdarm.
Zu Urzeiten, als wir noch Wochen oder gar Monate durch die Steppe irrten, bis wir endlich ein Mammut erlegten und dann mit einem Male große Mengen Fleisch zu uns nahmen, denn wir wußten nicht, wann es wieder Fleisch geben würde, war die Gallenblase wichtig, da sie den Genuß des Mammutfleisches mit einem inneren Gallensaftorgasmus begleitete.
Heutzutage müssen wir nur in den nächsten Burger King, wo wir uns, wenn wir wollten, die Fleischmenge eines Mammuts reinpfeifen könnten, doch wir tun es nicht, weil wir wissen, daß wir jederzeit mehr bekommen können. Die Gallenblase wird nicht unbedingt benötigt, wenn wir das fettige Fleisch in kleiner Menge in gut dosiertem Abstand zu uns nehmen, wir müssen nicht mit dem Feuerwehrschlauch auf die Fettbombe warten, es genügt, das portioniert eintreffende Fett tröpfchenweise zu bearbeiten.
Und ich hatte mich benommen wie ein Urmensch, hatte die zwei Schweineschnitzel am Stück verputzt, als ob es keinen Burger King gäbe, dabei hätte ich der Kollegin neben mir ein Schnitzel abgeben können, denn sie hatte auch Schnitzel bestellt, aber ihre Bestellung wurde vergessen, sie hatte nichts bekommen. Der Urmensch in mir fraß alles weg.
Ich wurde mit Bauchschmerzen bestraft, weshalb ich mich zunächst fragte: Warum habe ich jetzt Bauchschmerzen? Und dann erst fiel es mir ein: Du hast keine Gallenblase mehr. Die hast du dir 2016 rausnehmen lassen.
2016 hatte ich mir, da ich immer nach fettigem Essen Bauchschmerzen bekam, Gallensteine in meiner Gallenblase ergoogelt, ging zum Hausarzt, der mich an einen Spezialarzt überwies, auf den ich sechs Wochen warten mußte, und der Spezialarzt sagte, nachdem er die Gallenblase mit Ultraschall untersucht hatte: “Sie sind steinreich.”
Er hielt das sicher für einen tollen Gag, den er mit jedem machte, bei dem er Gallensteine diagnostizierte, aber ich wäre am liebsten von der Patientenliege aufgesprungen und hätte ihm die Fresse poliert, nicht weil er mir die Botschaft der Gallensteine überbracht hatte, sondern, weil ich den Gag so Scheiße fand.
Der Spezialarzt lud mich zu einem weiteren Termin, um mich gründlich zu untersuchen, um sicher zu stellen, daß mein Leiden tatsächlich durch die Gallensteine verursacht werde. Er wollte eine Darmspiegelung machen und meine Scheiße untersuchen.
Die Schwester gab mir ein Röhrchen mit einem im Schraubverschluß integrierten Löffelchen. Es erinnerte mich an diese Dinger zum Seifenblasen machen, wo das Röhrchen mit Seifenlauge gefüllt ist und das im Deckel integrierte Löffelchen ein Loch hat, durch das hindurch man die Seifenblasen bläst. Ich sollte damit meine Scheiße aufsammeln und sie ins Röhrchen gefüllt mitbringen. Ich fragte, wieviel Zeit vergehen dürfe, bis ich das Röhrchen abgebe.
“Es reicht, wenn sie Sie das Röhrchen zum nächsten Termin in sechs Wochen mitbringen”, sagte die Schwester.
“Nein, so meinte ich es nicht, ich meinte, wie viel Zeit darf vergehen, vom Befüllen des Röhrchens, bis ich es mitbringe. Könnte ich das Röhrchen heute befüllen und es zum Termin in sechs Wochen mitbringen?”
Nein, es sollte nur ein Tag vergehen. Ich überlegte noch, zu fragen, wie das Röhrchen mit dem Löffelchen zu handhaben sei, denn meine Toilette hat keine Fläche, wo die Scheiße liegen bleibt. Das macht nur platsch, und die Wurst schwimmt frei im Wasser. Wie sollte ich von der frei schwimmenden Wurst mit dem Löffelchen etwas abzwacken?
Draußen warf ich das Röhrchen in den Müll. Den Termin für Scheiße und Darmspiegelung bei dem Spezialarzt nahm ich nie wahr. Über meinen damaligen Arbeitgeber hatte ich mir kurz darauf einen Termin bei einem anderen Spezialisten, einer Gallenblasen-Koryphäe, in Heidelberg beschaffen können. Ich reiste also nach Heidelberg, und während die Koryphäe mich mit Ultraschall untersuchte kam ein Junger Arzt im OP-Kittel und OP-Handschuhen in den Raum, leicht blutverschmiert, und sagte aufgeregt mit bleichem Gesicht: Es gebe ein Problem, wir brauchen Ihre Hilfe. Die Koryphäe stürzte aus dem Raum, ließ mich allein für 20 Minuten auf der Patientenliege, und als er zurückkam, hatte auch er etwas Blut am Kittel.
Die Koryphäe sagte, daß ich Gallensteine hätte, die Gallenblase müsse raus, was soll da noch weiter untersucht werden? Laktose? Hab ich Probleme, ein Glas Milch zu trinken? Nein? Also raus mit der Gallenblase und ob ich mich gleich in Heidelberg operieren lassen wolle?
Ich entschied mich für Berlin, für die Herzberge, auch, weil ich wußte, daß sich dort Waschbären auf dem Gelände herumtreiben, die ich an den Abenden beobachten könnte.
Meine größte Sorge war, daß ich durch die Narkose all meine Paßwörter vergessen könnte. Die Anästhesistin sagte im Vorgespräch, daß ich mir keine Sorgen machen müsse, sie habe auch mal eine OP gehabt und keines ihrer Paßwörter vergessen. Ich traute ihr nicht und schrieb meine Paßwörter auf einen Zettel, den ich daheim in meinem Wohnzimmer versteckte, und sorgte mich nun darum, daß ich durch die Narkose vergessen könnte, wo ich den Zettel versteckt hatte.
Als ich dann endlich im Juli 2016 unters Messer kam, hatten meine damaligen Arbeitskollegen ein Strategiemeeting, an dem ich nicht teilnehmen konnte.
Die Ärzte hatten mir einen Bonbon zum Lutschen gegeben, der sollte mich beruhigen. Sie hatten mir Schläuche mit Kanülen in die Arme gesteckt, die Anästhesistin sagte, daß sie mein Buch gelesen habe, ich fragte, welches, denn ich hatte zwei Bücher geschrieben, und sie sagte, “Das Fehlerchen”, und ich dachte: Na so was, warum liest sie ein Buch von mir? Ist sie Fan? Ich fragte, ob ich bis 10 zählen solle? Muß man bei der Narkose nicht immer bis 10 zählen?
Die Anästhesistin sagte: “Nein. Müssen Sie nicht. Aber, wenn Sie wollen, können Sie gerne bis 10 zählen.” Ich überlegte, ob ich nun bis 10 zählen sollte oder nicht und kam etwa anderthalb Stunden später im Aufwachraum zu mir.
Ich fühlte mich, als ob ich 24 Stunden am Stück geschlafen hätte. Ich fühlte mich sauwohl und wach. Vielleicht war es einer der schönsten Momente meines Lebens, zum einen, weil ich die OP überlebt hatte und mich an meine Paßwörter erinnern konnte, zum anderen, weil sie mich bis zum Anschlag mit Morphium vollgepumpt hatten, damit ich keinen Schmerz an den Stellen verspürte, an denen sie mich aufgeschnitten hatten.
Ich stellte später fest, daß ich an anderen Körperstellen, an recht intimen Körperstellen, etwas wund war und verdächtigte die Anästhesistin, die mein Buch gelesen hatte. Wahrscheinlich zu Unrecht, aber ich fand keine bessere Erklärung. Beweisen hätte ich sowieso nichts können, ich war zwar dabei, aber bewußtlos.
Meine Gallensteine hatten sie mir auf das Tischchen neben dem Krankenbett gestellt. Ich hatte in den Vorgesprächen gefragt, ob ich sie bekommen könnte, und wurde deshalb verwirrt angeschaut. Es war ein Plastebecherchen, gefüllt mit 20 bis 30 Steinen, jeder gelb-schwarz gefleckt wie ein Feuersalamander, jeder so groß wie eine Fingerkuppe, nur etwas kleiner, gruselig anzusehen und gruselig die Vorstellung, daß die sich in meinem Körper befunden hatten.
Doch was sollte ich mit den Steinen eigentlich anstellen?
Auf Ebay fand ich eine Auktion von jemandem, der seine Gallensteine anbot. In der Artikelbeschreibung erklärte er, wie sehr er darunter gelitten und wie lange er sie mit sich herumgetragen habe. Startpreis 1 Euro, 0 Gebote, Auktion beendet, 0 Gebote.
Irgendwo anders hatte ich gelesen, daß ein Mitglied der Rockgruppe Kiss(?) seine Gallensteine für 20.000 Dollar versteigert hätte, ich war mir aber sicher, daß meine Prominenz da nicht heranreichen würde und meine Steine auch mit 0 Geboten enden würden.
Ich habe meine Gallensteine, nachdem sie ein paar Jahre in dem Plastebecherchen in meiner Küche im Regal gestanden hatten, im Hausmüll entsorgt. Ihr ursprüngliches krasses gelb-schwarz hatte sich in ein braun-grau-schwarz gewandelt, zudem waren sie geschrumpft und verschrumpelt.
Und wie unterscheidet sich nun das Leben mit Gallenblase, die mit Steinen gefüllt ist, von dem ohne Gallenblase?
Beide bereiten Probleme mit fettigem Essen, aber das Leben mit Steinen etwas mehr. Ich glaube, ein Teil der Schmerzen entstand dardurch, daß die Steine gedrückt haben, wenn die Gallenblase sich kontrahiert hat. Außerdem haben die Steine den Weg für den Saft verstopft. Mit Steinen hielten die Schmerzen länger an, ohne Gallenblase nicht so lange, da der Tröpfchenbetrieb trotz aller Nachteile ganz gut funktioniert.
Somit verging also auch der Schmerz, nachdem ich mit den Kollegen beim Strategiemeeting in Spandau zwei Schnitzel wie ein Urmensch reingehauen hatte, recht schnell, und jedem, der auch ein Problem mit Gallensteinen hat, kann ich nur die OP empfehlen, allein wegen des Morphiums im Körper beim Aufwachen. Das ist echt geil.
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