Nach­dem ich kürz­lich einen Atlas aus dem Jah­re 1933 begut­ach­ten konn­te, nun ein wei­te­res Werk von 1933, das Jahr­buch 1933 von Erik Jan Hanussen.
Das Titel­blatt des 122 Sei­ten umfas­sen­den A5-gro­ßen Hef­tes ver­spricht in meh­re­ren Schrift­grö­ßen und ‑arten dem Leser unter ande­rem die Fra­ge “Was bringt 1933?” mit “Hanus­sens Hell­se­her­pro­gno­sen für das Schick­sal der Welt” zu beant­wor­ten. Auch Hit­ler und der NSDAP soll ein Kapi­tel gewid­met sein.

Die Rück­sei­te des Hef­tes zeigt Wer­bung für Hanus­sens bun­te Wochen­schau, die Hell­se­her-Zei­tung, wobei auch hier tief in den Setz­kas­ten gegrif­fen wur­de, um das Papier mit einer aus­ge­spro­che­nen Viel­falt an Schrift­ar­ten und Schrift­grö­ßen zu bereichern.

Eigent­lich ist das Heft von 1932, das Vor­wort ist auf Ende Sep­tem­ber 1932 datiert, in dem der Her­aus­ge­ber (Hanus­sen) schreibt, er habe sich ent­schlos­sen, sei­ne Pro­phe­zei­un­gen nicht wie sonst der all­ge­mei­nen Pres­se zu über­ge­ben, son­dern zum ers­ten Male ein Jahr­buch her­aus­zu­ge­ben, in wel­chem sei­ne Vor­aus­schau für 1933 ein­zig und allein erscheine.

Der astro­lo­gi­sche Kalender

Die Sei­ten 4 bis 27 ent­hal­ten eine Art Kalen­der, der zu jedem Tag des Jah­res 1933 “eini­ge Hin­wei­se auf Grund der Tages­kon­stel­la­tio­nen” gibt und Platz für eige­ne Noti­zen läßt.
Dort lesen wir für den 30. Janu­ar 1933, jenen Tag, an dem Hit­ler zum Reichs­kanz­ler ernannt wird: “All­ge­mein güns­ti­ger Tag, eig­net sich für alle Unter­neh­mun­gen”, und für den 27. Febru­ar (Reichs­tags­brand): “Gut für Haus- und Grund­be­sitz, Land­wirt­schaft, Vor­tei­le durch älte­re Leute.”
Der dar­auf­fol­gen­de Tag, der 28. Febru­ar, an dem mit der Ver­ord­nung des Reichs­prä­si­den­ten zum Schutz von Volk und Staat wich­ti­ge Arti­kel der Ver­fas­sung des Deut­schen Rei­ches außer Kraft gesetzt wer­den und daher, so das Gesetz­blatt, “Beschrän­kun­gen der per­sön­li­chen Frei­heit, des Rechts der frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung, ein­schließ­lich der Pres­se­frei­heit, des Ver­eins- und Ver­samm­lungs­rechts, Ein­grif­fe in das Brief‑, Post‑, Tele­gra­phen- und Fern­sprech­ge­heim­nis, Anord­nung von Haus­su­chun­gen und Beschlag­nah­men sowie Beschrän­kun­gen des Eigen­tums auch außer­halb der sonst hier­für bestimm­ten gesetz­li­chen Gren­zen zuläs­sig” sind, sei gut für Lie­be und Freund­schaft; nicht güns­tig für Rei­sen und Auto­fahr­ten, Unfalls­nei­gung, Vor­sicht vor Ver­gif­tung und Verleumdung.
Für den 5. März 1933 heißt es: “Güns­tig für Lie­be und Ehe, Gesel­lig­keit, zur Anknüp­fung von Ver­bin­dun­gen, Ver­gnü­gungs­rei­sen.” Es ist der Tag, an dem die NSDAP mit 43,9 Pro­zent die Reichs­tags­wah­len gewinnt.
Für den 23. März 1933, den Tag, an dem Hanus­sen von einem SA-Kom­man­do ver­haf­tet wird, lesen wir: “Kri­ti­scher Tag, der Auf­re­gung und Strei­tig­kei­ten bringt, Verletzungsgefahr.”
Und für den 24. März, den Tag an dem das Gesetz zur Behe­bung der Not von Volk und Reich (Ermäch­ti­gungs­ge­setz) in Kraft tritt und Hanus­sen in der Nacht zum Fol­ge­tag ermor­det wird, steht: “Kri­ti­scher Tag mit Ver­leum­dung, ungüns­tig für Pro­zes­se, Vor­sicht vor Betrug, Skandale.”

Es ist tra­gisch, daß Hanus­sen sei­ne Ermor­dung durch die Nazis nicht vor­her­ge­se­hen hat, viel­leicht, da er sein Berufs­le­ben als Hell­se­her strikt vom Pri­vat­le­ben trenn­te. Viel­leicht wuß­te er auch von sei­ner Ermor­dung, konn­te jedoch nichts dage­gen unter­neh­men, da eine Ver­än­de­rung des Schick­sals die Zeit­kon­ti­nui­tät ver­letzt und sei­ne Pro­phe­zei­ung wider­legt hät­te (Groß­va­ter­pa­ra­do­xon).
Das Wahr­schein­lichs­te ist jedoch, daß Hell­se­he­rei schlicht nicht funktioniert.

Erik Jan Hanus­sen mach­te ab Ende der 1920er Jah­re ein stei­le Kar­rie­re als okkul­tis­ti­scher Bera­ter, Hyp­no­ti­seur und Hell­se­her, ver­leg­te Hanus­sens Bun­te Wochen­schau, die zeit­wei­se zu den auf­la­gen­stärks­ten Zei­tun­gen Ber­lins zähl­te, ver­trieb magi­sche Ket­ten, Amu­let­te und Schön­heits­creme, konn­te sogar mit astro­lo­gi­schen Bör­sen­tips Kur­se bewe­gen und ver­kauf­te sei­ne Pro­phe­zei­en­de Schall­plat­te mit Vor­her­sa­gen für die Welt.
All das brach­te ihm ein Ver­mö­gen ein.
Er pfleg­te gute Kon­tak­te zu NSDAP-Mit­glie­dern und spe­zi­ell zur SA, spen­de­te Geld an die NSDAP und war Hit­ler-Anhän­ger. 1932 wur­de bekannt, daß er Jude war.
Es gibt zahl­rei­che Arti­kel, Bücher und Doku­men­ta­tio­nen, die die spe­zi­el­len Umstän­de sei­ner Kar­rie­re und schließ­lich sei­ner Ermor­dung unter­su­chen. Es heißt, die SA-Leu­te hät­ten ihn ermor­det, um ihre ehe­mals freund­schaft­li­chen Kon­tak­te zu einem Juden zu ver­de­cken. Außer­dem schul­de­ten eini­ge ihm Geld, womit sie durch sei­ne Ermor­dung zwei Flie­gen mit einer Klap­pe schlugen.

Aber schau­en wir, was Hanus­sen zum Jahr 1933 in sei­nem Jahr­buch ab Sei­te 81 sagt.

Was bringt 1933?

Rück­bli­ckend auf das Jahr 1932 sagt Hanus­sen, daß es jenes Jahr sein wird, “von dem die spä­te­ren Gene­ra­tio­nen behaup­ten wer­den: Hier war erst der Welt­krieg zu Ende” (Er meint den 1. Welt­krieg. 1933 gab es den 2. Welt­krieg noch nicht.)
Das kom­men­de Was­ser­mann-Zeit­al­ter begin­ne zu wir­ken, und Deutsch­land, das dem Zei­chen Wid­der unter­ste­he, den Ura­nus als gro­ßen Refor­mer im Kopf­zei­chen tra­ge, wer­de die ura­ni­schen Ver­än­de­run­gen und auf­bau­en­den Wir­kun­gen zual­ler­erst spü­ren und damit gera­de die Füh­rung in der neu­en Zeit erringen.
1933 wer­de die Wehr­fra­ge im Vor­der­grund ste­hen, die Auf­rüs­tung Deutsch­lands. Deutsch­land wer­de, wenn es nötig sein soll­te, sogar durch Ein­satz mili­tä­ri­scher Gewalt, eine Anpas­sung der eige­nen Wehr­stär­ke an die ande­rer gro­ßer Län­der durch­zu­set­zen wissen.
Spe­zi­ell um Dan­zig und das Memel­ge­biet wer­de es zu Kom­pli­ka­tio­nen zwi­schen Litau­en, Polen und Deutsch­land kom­men, bei denen Frank­reich eben­falls mit­re­den wird. Dage­gen wer­den die Bezie­hun­gen Deutsch­lands zu Ita­li­en und Groß­bri­tan­ni­en aus­ge­spro­chen güns­tig sein. Auch durch die Ver­än­de­run­gen des Regimes in Ame­ri­ka wer­de Deutsch­land dort auf star­ke Sym­pa­thien stoßen.
Hanus­sen macht eine Rei­he von Vor­her­sa­gen: Es wer­de 1933 eine star­ke Depres­si­on im Kunst­we­sen geben, also Thea­ter, Film und Varie­té, wei­ter­hin in der Tex­til­in­dus­trie, der Auto­mo­bil­in­dus­trie und der Luxus­bran­che. Die Zahl der Selbst­mor­de wer­de wie­der eine recht hohe sein. Der Selbst­mord eines hohen Funk­tio­närs in einem staat­li­chen Betrieb wer­de eine gewal­ti­ge Über­ra­schung brin­gen. Der Todes­fall eines gro­ßen Gelehr­ten wer­de die Welt in Trau­er stür­zen. Eine gro­ße Brand­ka­ta­stro­phe wer­de künst­le­ri­sche Wer­te ver­nich­ten. Eine sehr gro­ße Kata­stro­phe im Flug­we­sen wer­de die Flug­tech­nik erschüt­tern, und im Berg­bau sei auch eine Kata­stro­phe zu erwar­ten. Ein Serie rät­sel­haf­ter Atten­ta­te wer­de sich ereig­nen und ein gro­ßer Spio­na­ge­fall Auf­se­hen erre­gen. Ein Atten­tat auf einen sehr gro­ßen poli­ti­schen Füh­rer wer­de geahn­det wer­den. Ein Devi­sen-Schmug­gel-Pro­zeß wer­de Auf­se­hen erre­gen. Der Ver­such eines Put­sches in Deutsch­land wer­de kräf­tig unter­drückt wer­den müs­sen, und noch vie­les mehr pro­phe­zeit Hanussen.

Hit­ler und die NSDAP 1933

Ab Sei­te 88 (ist das ein Code?) fin­den wir Horo­sko­pe für Hit­ler und die NSDAP. Unter­schrie­ben ist der Bei­trag mit Astro Kirch­hoff, also ist er wohl nicht von Hanus­sen, son­dern von Astro Kirch­hoff, was wahr­schein­lich ein Pseud­onym ist.
Der Bei­trag läßt sich kurz mit “astro­lo­gi­sches Gefa­sel” zusam­men­fas­sen, denn man liest: Hit­lers Kri­sen­kur­ve fal­le mit den peri­odi­schen Stö­run­gen der Pla­ne­ten Saturn und Ura­nus zusam­men, begin­ne mit dem 42. und ende mit dem 46. Lebens­jahr, wenn Saturn und Ura­nus gleich­zei­tig die Oppo­si­ti­ons­stel­len ihrer radi­ka­len Plät­ze erreicht haben, wo sie den größ­ten Span­nungs­druck ver­ur­sa­chen. Den­noch sei bewun­derns­wür­dig, wie Hit­ler mit sei­nen Wider­sa­cher­aspek­ten fer­tig wer­de. In einer nur dem “Stier­ge­bo­re­nen” eige­nen Beharr­lich­keit ver­dop­pelt er, unter dem Druck sei­ner in die Mil­lio­nen gehen­den Geg­ner, sei­ne Kräf­te, bäum­te sich auf und locker­te sei­ne Schwin­gen, wenn er mit sei­nem Flug­zeug von Stadt zu Stadt quer durch Deutsch­land zog, um die Mas­se aus ihrer Lethar­gie auf­zu­rüt­teln, sei­ne Bewe­gung in die Höhe zu rei­ßen und als gro­ßer Umpflü­ger der Deut­schen See­le einem erwa­chen­den deut­schen Zeit­al­ter den Stem­pel eines neu­en Art­be­wußt­seins aufzudrücken.
Zur NSDAP heißt es: Mer­kur, Son­ne und Ura­nus, im Zei­chen Fische, wer­den anhal­tend durch kon­stan­te Mars- und Jupi­ter­op­po­si­tio­nen beun­ru­higt, wäh­rend spä­ter Mars und Saturn radix durch den lau­fen­den Saturn beschä­digt wer­den. Es ist also leicht mit Revol­ten, Unru­hen, schwe­ren Zusam­men­stö­ßen, Rechts­strei­tig­kei­ten, Aus­ein­an­der­set­zun­gen, Ver­haf­tun­gen und Blut­ver­gie­ßen zu rechnen.
Illus­triert wird der Bei­trag mit dem Bild eines Stern­zei­chen­ra­des in des­sen Mit­te ein schlam­pig aus­ge­schnit­te­nes Por­trait von Adolf Hit­ler geklebt wur­de. (Heut­zu­ta­ge wür­de man von dile­tan­tisch gepho­to­shopt sprechen.)

Ande­re Beiträge

Ab Sei­te 28 gibt es einen Rück­blick auf das Jahr 1932, unter­zeich­net von Ismet Aga Dzi­no. Dort wer­den zu Hanus­sens Pro­gno­sen, die er für 1932 gege­ben hat, pas­sen­de Ereig­nis­se genannt.
Ab Sei­te 33 fin­det sich der Weg­wei­ser für Dein Horo­skop von J. U. Dzi­no und Dr. W. Bae­cker, der astro­lo­gi­sche Fach­be­grif­fe erläu­tern soll. Es beginnt mit dem Satz: “Die Astro­lo­gie ist heu­te wohl die Wis­sen­schaft, mit der sich außer den Astro­lo­gen, also den Wis­sen­schaft­lern, das brei­te Publi­kum mit gro­ßem Inter­es­se beschäftigt.”
Die Sei­ten 36 bis 79 ent­hal­ten 12 Kapi­tel, für jedes Tier­kreis­zei­chen eines, die sich mit der Fra­ge “Du und dein Schick­sal” befas­sen. Der Leser konn­te also anhand sei­nes Geburts­jah­res und Stern­zei­chens etwas über sein Schick­sal im Jah­re 1933 erfah­ren. Wäre ich 100 Jah­re frü­her gebo­ren, hät­te ich 1933 dem­nach gele­gent­lich unter melan­cho­li­schen Stim­mun­gen lei­den kön­nen und soll­te mich vor Erkäl­tun­gen hüten. Auch sei die Gefahr eines Rücken­lei­dens gegeben.
Ab Sei­te 95 gibt es noch ein Kapi­tel über Hand­li­ni­en­deu­tung, “Die Hand erzählt .….”, und ab Sei­te 99 eine uto­pi­sche Erzäh­lung Der Bel­lero­phon von Graf von Ray­ho­fen, wo es um ein Luft­schiff , das mit Heli­um statt Was­ser­stoff gefüllt ist, einen Hell­se­her und eine Gerät zum Emp­fang von Wel­len bestimm­ter Fre­qen­zen geht.

Für jene, die sich selbst eine Bild machen wol­len, sei­en hier die Kapi­tel Was bringt 1933, Hit­ler und die NSDAP sowie der Bel­lero­phon angehängt.

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Der Bellerophen