Da in letzter Zeit in den Nachrichten, in den Medien, in Diskussion und anderenorts gehäuft das Wort Demokratie auftaucht, ja, es taucht beinahe inflationär auf, man könnte regelrecht von einer Art Demokratie-Spam sprechen, wollte ich mich mit dem Begriff der Demokratie einmal etwas genauer beschäftigen und habe ihn in vier Lexika, die ich gerade zur Hand hatte, nachgeschlagen.
Dabei kam ich zu folgenden Ergebnissen.
In Knaurs Konversationslexikon, erschienen im Jahre 1932, findet sich unter Demokratie nur ein kurzer Eintrag:
Demokratie [griech.], Volksherrschaft; Staatsform: höchste Gewalt geht vom Volke aus (allgem., gleiches, geh. Wahlrecht).
Meyers Taschenlexikon A‑Z aus dem Jahre 1965, ein in der DDR vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig herausgegebenes Werk, sagt mehr:
Demokratie [g., “Volksherrschaft”]: Staatsform parlamentarischen Charakters, deren Inhalt von der jeweils herrschenden Klasse bestimmt wird. In der Klassengesellschaft ist D. immer nur eine Form der Herrschaft der Ausbeuterklassen über die Ausgebeuteten. Die antike D. war eine D. der Sklavenhalter (Griechenland, Rom). Die bürgerl. D. ist die auf dem kapitalist. Eigentum an den Produktionsmitteln beruhende, parlamentarisch getarnte Diktatur der Bourgeoisie über die von ihr ausgebeutete Mehrheit der Werktätigen. Erst die sozialist. D. (↑Diktatur des Proletariats) wird der eigtl. Bedeutung des Wortes gerecht. Sie ist eine tatsächliche Volksherrschaft, wobei die Werktätigen nicht nur die polit. Macht ausüben, sondern auch alle materiellen u. kulturellen Güter der Gesellschaft besitzen u. von jeder Form der Ausbeutung u. Unterdrückung befreit sind. Ziel der sozialist. D. ist die maximale Entw. der schöpfer. Initiative der werktätigen Massen beim sozialist. u. kommunist. Aufbau. Vgl. Volksdemokratie.
Das BI Lexikon A bis Z in einem Band, 1982 herausgegeben vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig, das im Grunde die Fortführung von Meyers Taschenlexikon A‑Z von 1965 ohne den Namen Meyers ist, hat den Eintrag über Demokratie etwas komprimiert.
Demokratie [<lat. <gr., “Volksherrschaft” ]: Staatsform, in der jurist. die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, ihre Teilnahme an der Leitung des Staates sowie polit. Rechte u. Freiheiten anerkannt werden, die aber stets Klassencharakter besitzt. Bürgerl. D. ist durch die Klasseninteressen der die Produktionsmittel besitzenden herrschenden Bourgeoisie begrenzt u. daher scheindemokrat. Charakters. Sozialist. D. ist als reale D. höchster Typ der D.; sie beruht auf sozialist. Macht- u. Eigentumsverhältnissen, beinhaltet aktive Teilnahme der Werktätigen an der Leitung der Gesellschaft unter Führung der marxist.-leninist. Partei u. die Entfaltung des Schöpfertums der Volksmassen.
Und im Jugendlexikon a‑z, ebenfalls herausgegeben vom VEB Bibliographisches Institut Leipzig im Jahre 1982 steht schlicht:
Die Demokratie [<griech., “Volksherrschaft”] → Diktatur des Proletariats.
Schlägt man im Jugendlexikon unter “Diktatur des Proletariats” nach, bemerkt man, daß, die “Diktatur des Proletariats” eher nur ein Unterabschnitt des Artikels über “Diktatur” ist. Zur Diktatur wird kurz erläutert, daß sie die Herrschaft einer Klasse über andere Klassen mit Hilfe des Staates sei. Dann folgt der Eintrag zur “Diktatur des Proletariats”, der sich über eine ganze Seite erstreckt und mit folgendem Satz beginnt:
Die Errichtung einer Diktatur des Proletariats in dieser oder jener Form (Sowjetstaat, Volksdemokratie, Arbeiter-und-Bauern-Staat) ist die bedeutendste von MARX und ENGELS entdeckte und von LENIN weiter präzisierte Gesetzmäßigkeit beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus.
…
Der Jugendliche, der im Jugendlexikon den Begriff “Demokratie” nachschlägt, erfährt also, daß Demokratie das griechische Wort für Volksherrschaft und Volksherrschaft im Grunde die “Diktatur des Proletariats”, eine von Marx und Engels entdeckte Gesetzmäßigkeit, sei.
Insgesamt möchte ich zusammenfassen:
1932 galt Demokratie als eine Staatsform, in der die höchste Gewalt vom Volke ausgeht und durch geheime Wahlen gelenkt wird, wobei alle gleiches Wahlrecht haben.
Ab 1945, nach dem Kriege, auf ostdeutscher Seite, also in der DDR, wird Demokratie differenziert betrachtet. Es gibt die antike Demokratie, bei der Sklaven unterdrückt werden, es gibt die bürgerliche Demokratie, damit ist die Demokratie in Westdeutschland, also die der BRD, gemeint. Diese Demokratie beruhe auf kapitalistischem Eigentum an Produktionsmitteln und ist eine parlamentarisch getarnte Diktatur, trägt somit scheindemokratischen Charakter.
Und es gibt die sozialistische Demokratie, sie ist die Demokratie höchsten Typs, die einzig reale Demokratie, da sie auf sozialistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen beruht und die aktive Teilnahme der Werktätigen an der Leitung der Gesellschaft unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei beinhaltet.
Der aufmerksame Leser hat sicher bemerkt, daß in den Artikeln der DDR-Lexika das Wort “Wahlen” völlig ausgeblendet wird, weder bei der antiken, der bürgerlichen, noch der sozialistischen Demokratie fällt das Wort, dabei gelten freie und geheime Wahlen als bestes Mittel in einer Demokratie, in einer Herrschaft des Volkes, den Willen des Volkes auszudrücken.
Auf welche Weise sich die Werktätigen in der sozialistischen Demokratie, wenn nicht durch Wahlen, aktiv an der Leitung der Gesellschaft beteiligen können, wird nicht erklärt. Es wird lediglich gesagt, daß dies unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei geschieht, was im Widerspruch zu einer aktiven Beteiligung steht. Die Bürger halten das Lenkrad, und die Partei dreht es.
Ein westdeutsches Lexikon aus der Nachkriegszeit habe ich leider nicht zur Hand. Ich vermute jedoch, dass ein Brockhaus aus den 70ern der Definition im Knaur von 1932 folgt – mit Betonung auf Wahlen, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung.
Seit der Wiedervereinigung 1990 leben auch die Ostler in Knaurs Demokratie, die, wenn man den Definitionen der DDR-Lexika folgt, eine bürgerliche Demokratie ist, die auf dem kapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln beruht.
Nun ist aber im Demokratie-Spam der letzten Zeit ein neuer Demokratie-Typ aufgetaucht, nämlich Unsere Demokratie. Kaum eine Rede eines Bundestagsabgeordneten einer demokratischen Partei läßt den Begriff aus. Ich bin nicht sicher, welcher Typ Demokratie mit “Unsere Demokratie” gemeint ist. Ob es die antike, die bürgerliche oder gar die sozialistische Demokratie sein soll, vielleicht auch eine Mischung aus allen oder etwas völlig neues.
Wenn das BI-Lexikon des VEB Bibliographisches Institut Leipzig heute im Jahre 2025 noch verlegt würde, glaube ich, stünde zum Begriff “Demokratie” folgendes darin:
Demokratie [g., “Volksherrschaft”]: Staatsform, in der jurist. die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, ihre Teilnahme an der Leitung des Staates sowie polit. Rechte u. Freiheiten anerkannt werden. Die antike D. war eine D. in der die höchste Gewalt vom Volke ausging (allgem., gleiches, geh. Wahlrecht). Unsere D. ist höchster Typ der D.; sie ist durch Vielfalt, Toleranz, Gleichstellung, Selbstbestimmung, Klimaschutz, ein Netz ohne Hass und Hetze gekennzeichnet u. durch freie geh. Wahlen bedroht (↑wehrhafte D.)
Und im Jugendlexikon würde wohl stehen:
Die Demokratie [<griech., “Volksherrschaft”] → Diktatur der SPD.
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