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Chamissos Werke in vier Bänden

Es ist ein wun­der­schö­nes Buch, das jemand in einem Bücher­tausch­schrank in Pan­kow ent­sorgt hat, gedruckt im Jah­re 1907. In die­sem einen Band sind alle vier im Titel erwähn­ten Bän­de ent­hal­ten, sogar die Sei­ten­num­mern begin­nen mit­ten im Band wie­der bei eins, dort, wo ein neu­er Band anfängt. War­um das Buch nun “Cha­mis­sos sämt­li­che Wer­ke in vier Bän­den” heißt und nicht “Cha­mis­sos sämt­li­che Wer­ke in einem Band”, wobei man die Sei­ten­num­mern dann hät­te durch­lau­fen las­sen kön­nen, erschließt sich mir nicht.

Doch es ist eigent­lich noch kom­pli­zier­ter, denn, daß mit jedem Band die Nume­rie­rung der Sei­ten neu beginnt, stimmt nicht. In Wirk­lich­keit sind die Sei­ten der Bän­de 1 und 2 von 1 bis 474 fort­lau­fend durch­nu­me­riert, und erst bei Band 3 beginnt es wie­der mit Sei­te 1, wonach Band 3 und 4 fort­lau­fend bis Sei­te 476 durch­nu­me­riert werden.

Damit hat das Buch ins­ge­samt 950 Sei­ten, und alle Sei­ten sind mit Frak­tur­schrift bedruckt.

Frak­tur ist für Unge­üb­te zum Teil schwer zu lesen. Anstatt “Ich bin so jung, ich bin so stark”, liest man schon mal “Ich bin so jung, ich bin so ftark”, oder gar “ich bin fo jung …”.

Hier gibt es nun 950 Sei­ten, sich in der Frak­tur­schrift zu üben, der Deut­schen Schrift, die vie­le mit den Nazis ver­bin­den, mit Hit­ler und dem drit­ten Reich, dabei waren es die Nazis selbst, die mit Erlaß vom 3. Janu­ar 1941 die Frak­tur­schrif­ten ver­bo­ten und dafür gesorgt haben, daß nur noch Anti­qua gelehrt und ver­wen­det wird, und das ist so bis heu­te geblieben.

Neben sämt­li­chen Wer­ken von Cha­mis­so ent­hält das Buch, das wie schon gesagt, in einen Bücher­tausch­schrank gestellt wor­den war, auch noch ein paar Hin­wei­se auf des­sen ehe­ma­li­gen Besit­zer oder des­sen Besit­ze­rin. Das sind zwei gepreß­te Pflan­zen, ein Blatt von einem Abreiß­ka­len­der, eine Ein­tritts­kar­te für die Staats­oper, ein Schwarz­weiß­fo­to einer jun­gen Frau in Paß­bild­grö­ße und ein Flug­blatt, auf dem ein Klub­abend der Geis­tes­ar­bei­ter ange­kün­digt wird.

War­um die­se Din­ge in dem Buch abge­legt wur­den, läßt sich nur mutmaßen.

Das Kalen­der­blatt ist vom 31. Dezem­ber (Jul­mond) 1935.
Obwohl das Jahr auf dem Kalen­der­blatt nicht expli­zit ver­merkt ist, läßt es sich rekon­stru­ie­ren, da auf der Rück­sei­te Wer­bung für den Kalen­der des Fol­ge­jahrs ist, und auch der ange­ge­be­ne Wochen­tag, ein Diens­tag, fällt auf den letz­ten Tag des Jah­res 1935.

Viel­leicht war der 31. Dezem­ber 1935 für den Besit­zer des Buches ein beson­de­rer Tag, an dem ein gro­ßes Ereig­nis statt­ge­fun­den hat, wes­halb das Blatt auf­be­wahrt wur­de, viel­leicht waren es aber auch nur die auf der Rück­sei­te abge­druck­ten Aphorismen:

Erin­ne­re dich der Vergangenheit,
Lebe der Gegenwart,
Den­ke an die Zukunft.

Was ver­gan­gen, kehrt nicht wieder,
Aber – ging es leuch­tend nieder -
Leuch­te­t’s lan­ge noch zurück.

Die Lebens­wan­de­rung ift ist eine Gebirgs­wan­de­rung, je wei­ter man oben ist, des­to wei­ter und rei­cher wird der Aus­blick, des­to frei­er die Luft, def­to ein­sa­mer die Landschaft

August Lämm­le

Die auf dem Schwarz­weiß­fo­to abge­bil­de­te Frau könn­te die ehe­ma­li­ge Besit­ze­rin des Buches sein, es könn­te aber auch die Frau oder die Freun­din des ehe­ma­li­gen Besit­zers sein, der mit ihr zur 95. Vor­stel­lung im Jah­re 1931 in der Staats­oper war, wobei die gepreß­ten Pflan­zen zur Erin­ne­rung auch noch eine Rol­le gespielt haben könnten.

Das Flug­blatt ist aus dem Jah­re 1931 und kün­digt einen “Klub­abend der Geis­tes­ar­bei­ter” an, ver­an­stal­tet von der Inter­na­tio­na­len Arbei­ter­hil­fe, einer KPD-nahen Organisation.
Auf dem Klub­abend soll­te es um die “neu­en Per­spek­ti­ven der Reichs­prä­si­den­ten­wahl (2. Wahl­gang)” gehen.
Wir wis­sen heu­te, wie die Wahl aus­ge­gan­gen ist. Hin­den­burg hat gewon­nen und ernann­te am 30. Janu­ar 1933 Adolf Hit­ler zum Reichskanzler.
Am 26. Mai 1933 ist die KPD dann unter der Herr­schaft von Adolf Hit­ler ver­bo­ten wor­den. Nach dem Krieg 1945 hat sich die KPD wie­der gegrün­det und ist am 17. August 1956 in der BRD erneut ver­bo­ten wor­den. Damit ist die KPD die ein­zi­ge Par­tei, die sowohl von den Nazis als auch vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­bo­ten wor­den ist.

Auf der Rück­sei­te des Fly­ers (ver­al­tet: Flug­blatt) fin­det sich ein Gedicht von Erich Wei­nert mit dem Titel: “An die Geis­tes­ar­bei­ter!”, aus dem hier fol­gen­des zitiert sei:

Wenn du arbei­ten willst, es steht dir frei!
Aber bit­te, gratis!
Betrach­test du die kapi­ta­lis­ti­sche Schweinerei
Nun noch immer sub spe­cie aeternitatis
Wie lan­ge spielst du noch Blindekuh?
Noch ein­mal die Fra­ge: Wer bist denn du?
Das wer­den dir die Arbei­ter sagen:
Ein Arbei­ter bist du! Siehst dus nicht ein?
Doch die Arbei­ter wer­deb in kom­men­den Tagen
Die Trä­ger der Welt­ge­schich­te sein.

Das Flug­blatt ist höchst­wahr­schein­lich auf einem Mimeogra­phen ent­stan­den, denn, so selbst­ver­ständ­lich es uns heu­te erscheint, daß wir einen Fly­er auf dem PC ent­wer­fen und ihn auf dem hei­mi­schen Dru­cker hun­dert­fach aus­dru­cken oder mit dem USB-Stick zum Copy­shop lau­fen und zig Exem­pla­re erstel­len, damals gab es noch kei­ne Xerox-Kopie­rer, die in jeder Uni stan­den und zum Ver­viel­fäl­ti­gen ver­wen­det wer­den hät­ten können.
Auch Sophie Scholl soll solch einen Mimeogra­phen beses­sen haben.

Und was steht nun in dem Buch? Wie der Titel es bereits sagt, sind in dem Buch sämt­li­che Wer­ke von Adel­bert von Cha­mis­so, Gedich­te, Kurz­ge­schich­ten, Novel­len, unter ande­rem auch “Peter Schle­mihls wun­der­sa­me Geschich­te”, in der ein Mann sei­nen Schat­ten dem Teu­fel ver­kauft und dafür aller­hand Reich­tum genießt. Daß der Mann kei­nen Schat­ten hat, fällt natür­lich erst bei Son­nen­schein auf, wo die Men­schen sich dann vor ihm, ob des feh­len­den Schat­tens, fürchten.
Die Geschich­te erin­nert ein wenig an “Timm Tha­ler”, wobei es eigent­lich umge­kehrt sein soll­te, da James Krüss von Cha­mis­so inspi­riert war, “Timm Tha­ler” zu ver­fas­sen. Doch man liest nicht alle Geschich­ten in der Rei­hen­fol­ge, in der sie erschie­nen sind, womit mich also “Peter Schle­mihls wun­der­sa­me Geschich­te” an Timm Tha­ler erin­nert hat.

Tags: Chamisso, KPD, Nazis, Xorox

1 Kommentar

  • Ruth

    27. November 2023, 18:05

    interessanter Text, liebe deinen blog sowieso

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