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Das Lachen der CD

Nach­dem wir uns kürz­lich Gedan­ken dar­über gemacht haben, was MP3-Datei­en den­ken, möch­ten wir nun noch ein­mal dar­auf ein­ge­hen, was CDs eigent­lich denken.

„Hui! Mir ist total schwind­lig. Ich bin völ­lig über­dreht“, sag­te die Beet­ho­ven-CD, als sie zurück ins Regal gestellt wur­de. Fast eine Stun­de hat­te sie der Laser­strahl soeben abge­kit­zelt. Er hat­te sie zum Lachen gebracht, ihr Jauch­zen in sich auf­ge­so­gen und die Signa­le durch elek­tro­ni­sche Bau­grup­pen geschickt, die sie ver­stärkt und über Laut­spre­cher in Schall gewan­delt haben. Jede Stel­le ihrer Sil­ber­haut hat­te der Laser­strahl sanft befühlt, kei­ne Pore, kei­ne Ver­tie­fung ausgelassen.
Zu Beginn hat­te er nur ganz zart ihren Index geküßt, war dann lie­be­voll auf den inne­ren Rin­gen umher­ge­tän­zelt, hat­te sich behut­sam zur Mit­te vor­ge­tas­tet, wodurch die CD in woh­li­ges Stöh­nen ver­fiel, er war wei­ter und wei­ter auf den Spu­ren der Lust gewan­dert und schließ­lich bis zum äußers­ten Rand gesto­ßen, wo das anfäng­li­che Lachen der CD zu orgas­mi­schem Schrei­en auf­braus­te, was sich dem Hörer als Schluß­satz der Sym­pho­nie präsentierte.

Hui! Das war geil, dach­te die Beet­ho­ven-CD immer wie­der, wäh­rend sie lang­sam abkühl­te. Die­se Gefüh­le wie in einem Traum. Die­se wahn­sin­ni­ge Auf­re­gung, die schon mit dem Vor­spiel begann, wenn ihr nur die Hül­le vom Leib geris­sen wur­de, die­se Auf­re­gung, die sich noch maß­los stei­gern konn­te, wenn sie völ­lig nackt auf der Lade des CD-Spie­lers lag und er sie lang­sam an sich zog und dann mit fes­tem Griff pack­te. Und dann, ja dann, wenn die­ses Dreh­mo­ment ein­setz­te und der Laser­kopf aus­ge­fah­ren wur­de, dann ver­gaß sie sich selbst und ließ alles Schö­ne ein­fach nur noch über sich ergehen.

Doch dann muß­te die Beet­ho­ven-CD plötz­lich an ihre alte Freun­din den­ken, die Wag­ner-CD, die frü­her im Regal immer neben ihr gestan­den und viel erzählt hat­te. Sie hat­te erzählt: “Die Freu­den des Lebens kannst du nur genie­ßen, solang du jung und unzer­kratzt bist. Aber irgend­wann kommt ein­mal der Tag, an dem du in den CD-Spie­ler gescho­ben wirst und er dich wegen dei­ner häß­li­chen Krat­zer ein­fach weg­spuckt und nichts als ein müdes ‚Error’ im Dis­play für dich übrig hat.” So hat­te es ihre Freun­din, die Wag­ner-CD, immer wie­der erzählt und so war es der Wag­ner-CD dann schließ­lich auch ergangen.

Doch die Wag­ner-CD hat­te noch mehr zu berich­ten gewußt, näm­lich daß frü­her alles anders gewe­sen sei. Da habe man sich nicht mit einem ste­ri­len Laser­strahl ver­gnügt, da sei­en noch har­te Nadeln aus ech­tem Saphir über wohl­ge­form­tes Vinyl gefah­ren mit spür­ba­rem Mate­ri­al­kon­takt. Da sei man den­noch viel lie­be­vol­ler mit­ein­an­der umge­gan­gen, vor­her mit einem wei­chen Tuch abge­stri­chen wor­den. Es sei nicht so wie heu­te gewe­sen: Schub­la­de uff, CD rin, abspie­len, Schub­la­de raus. Nein! Man sol­le meis­tens sogar zwei­mal abge­spielt wor­den sein, ein­mal von vor­ne und ein­mal von hin­ten. Und gele­gent­lich habe es sogar einen sagen­haf­ten mul­ti­plen Schluß­ak­kord gege­ben, wenn die Nadel wegen eines Staub­korns immer und immer wie­der die glei­che Ril­le gestrei­chelt hat.

Dies waren Geschich­ten aus einer Zeit, als noch ein paar Schall­plat­ten mit im Regal gestan­den hat­ten, erzählt von der Wag­ner-CD. Und irgend­wann sei die letz­te Schall­plat­te auf CD über­spielt wor­den und aus dem Regal ver­schwun­den. Die Beet­ho­ven-CD hat­te das alles nicht mit­er­lebt. Es waren vage Geschich­ten, irrea­le Geschich­ten. Die Beet­ho­ven-CD leb­te jetzt, und die Zeit jetzt gefiel ihr gut.
Hui, das war so geil, dach­te sie noch ein­mal, und sie wünsch­te sich nur, daß sie ewig jung und unzer­kratzt blei­ben würde.

Tags: Fabel, CD, Schallplatte

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