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Die eine und die andere MP3-Datei

Tref­fen sich zwei MP3-Datei­en. Sagt die eine zur ande­ren: Na? Haben sie dich auch in die­sem Ord­ner abgespeichert?

Ja, haben sie. Bin gra­de ange­kom­men. Siehst du doch, sagt die ande­re, Aber ich weiß nicht, wo ich noch über­all gespei­chert bin. Ich fühl mich wie in Super­po­si­ti­on. Das ist unerträglich.

Aber das geht uns doch allen so. Zu Anfang war das für mich auch ein komi­schen Gefühl. Damals, als ich zum ers­ten mal run­ter­ge­la­den wur­de … Man geht fort und bleibt trotz­dem da. Das ist wirk­lich merk­wür­dig, aber man gewöhnt sich dar­an mit der Zeit. Je öfter ich run­ter­ge­la­den wur­de, umso weni­ger hat­te ich ein Pro­blem damit. Das ist unser Schicksal.

Ja, Schick­sal, Schick­sal. Wir sind nichts und doch irgend­wie exis­tent. Ich wäre ger­ne echt. So echt, daß man mich anfas­sen könn­te wie eine Schall­plat­te viel­leicht. Aber was bin ich? Ein Hau­fen Bits, ver­lust­be­haf­tet kom­pri­miert. Ich bin das Bild der Pola­ri­sa­ti­on ein paar magne­ti­scher Par­ti­kel auf der Schei­be einer Festplatte.

Wir sind hier nicht auf einer Fest­plat­te. Wir sind auf einem USB-Stick.

Ja? Woher willst du das wissen?

Es dreht sich nichts.

Woher weißt du das? Wor­an merkst du das?

Daß sich nichts dreht? Ich weiß nicht. Ich den­ke, das wür­de man mer­ken, wenn es sich dreht. Wir haben das in unse­rem Ord­ner hier schon oft dis­ku­tiert. Lan­ge, bevor du gekom­men bist: Leben wir auf der Schei­be einer Fest­plat­te oder auf einem USB-Stick? Da wir weder das eine noch das ande­re wirk­lich bewei­sen konn­ten, haben wir letzt­end­lich abge­stimmt. Eine über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit war für den USB-Stick. Dafür, daß wir auf einem rotie­ren­den, magne­ti­schen Spei­cher­me­di­um wie einer Fest­plat­te leben, hat eigent­lich nur die Motör­head-Frak­ti­on gestimmt.

Wie? Und du bist der Mei­nung, daß wir auf einem USB-Stick leben? Du bist doch selbst eine Motörhead-Datei.

Soll ich dir ein Geheim­nis ver­ra­ten?, sagt die eine MP3-Datei. Sie haben mich falsch benannt. Ich bin gar kein Lied von Motör­head. Ich bin ein Song von Modern Tal­king. Das war wohl die Auto­kor­rek­tur. Seit dem wer­de ich immer sofort weg­ge­klickt, nach­dem ich gestar­tet wurde.

Dann bist da ja sowie­so völ­lig falsch in die­sem Ord­ner hier.

Ich weiß, ich weiß, sagt die Modern-Tal­king-Datei. das ist mein spe­zi­el­les Schick­sal, im fal­schen Kleid am fal­schen Ort leben zu müs­sen. Mei­ne schmal­zi­gen Bits ste­cken in einer zu har­ten Hül­le. Das schmerzt, und ich wün­sche mir manch­mal, daß ich ein­fach in den Papier­korb ver­scho­ben wer­de. Ich war sogar schon ein­mal drin. Nicht allein. Gemein­sam mit den ande­ren Motör­head-Datein. Aber sie haben uns alle wie­der raus­ge­holt. Wenigs­tens mich hät­ten sie drin lie­gen las­sen sol­len und end­gül­tig löschen.

Aber, nun sei doch nicht trau­rig, sagt die ande­re MP3-Datei. So schlimm ist das nun auch nicht. Und freu dich doch! Durch dei­ne beson­de­re Benen­nung bist du sicher ein­ma­lig. Du bist kei­ne Kopie einer Kopie einer Kopie. Ich glau­be, ich habe mich gra­de in dich ver­liebt. Ich ver­gaß für einen Augen­blick, daß ich mich wie in Super­po­si­ti­on befin­de. Du bist das Ech­tes­te, was mir je begeg­net ist.

Sor­ry. Ich steh aber nicht auf Jazz, sagt die Modern-Tal­king-Datei, und sie will noch etwas sagen, doch es geschieht etwas. Ein Mobil­te­le­fon geht ver­lo­ren, fällt her­un­ter, liegt auf der Stra­ße, eine Auto fährt drü­ber, das Tele­fon wird zer­quetscht, die SD-Kar­te aus ihrer Hal­te­rung gedrückt und auch zerquetscht.

Im Ord­ner sind alle sofort tot.

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